E-Learning im Warenhaus

Manor gilt als E-Learning-Pionier. Der Erfolg beruht weniger auf der eingesetzten Technik, als vielmehr auf methodisch-didaktischen Konzepten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/18

     

Es ist schon fast zehn Jahren her, als der Detailhandelsriese Manor die Idee hatte, E-Learning einzuführen. Die Initiative kam damals aus der Ausbildungsabteilung, die das Glück hatte, dass die Unternehmensphilosophie innovative Projekte gern unterstützt. Im Detailhandel kann Manor heute in Sachen Online-Lernen durchaus als Pionier bezeichnet werden, denn «es gab zu diesem Zeitpunkt weltweit kein vergleichbares Projekt», erzählt Peter Meyer, der am Hauptsitz in Basel verantwortlich für die technische Umsetzung von Personalentwicklungs- und Ausbildungsfragen ist. Vor vier Jahren
erfolgte schliesslich die unternehmensweite praktische Einführung des Projekts, das den Initianten dieses Jahr den Europäischen E-Learning Award «eureleA» einbrachte (siehe Kasten Seite 58).


Ausbildung für alle

Die langwierige Umsetzung des Projekts erfolgte in drei Phasen: Zunächst wurde eine Projektstudie durchgeführt. Darin skizzierte man die Vor- und Nachteile und eine Kosten-/ Nutzenrechnung. Es folgte eine Testphase mit dem Ziel, die theoretischen Vorhersagen mit Praxis zu untermauern. So konnten die Produktionskosten auf der einen den Einsparungen auf der anderen Seite, so etwa bei den Reisekosten – gegenüber gestellt werden.
«Manor hat E-Learning nicht eingeführt, um Kosten zu sparen», betont allerdings Peter Meyer. Denn die finanziellen Einsparungen werden durch die Produktion der Inhalte wieder aufgebraucht. Vielmehr gehe es darum, dass beim Präsenzunterricht immer nur Einzelne die Kurse besuchen können. «Mit dem Medium E-Learning könnten wir jetzt allen Angestellten die gleiche Ausbildung anbieten», so Meyer. Die Kurse können sowohl in der Freizeit als auch während der Arbeitszeit absolviert werden. Jedes Abteilungsleiterbüro ist mit Hard- und Software ausgestattet, die unternehmensweit identisch und mit dem Hauptsitz vernetzt sind.
Die eingesetzte Lernplattform kommt von der deutschen Firma Time For You. Manor selbst entwickelt das Aussehen, die Navigation und die Inhalte der Online-Kurse.


Zeitfenster als Druckmittel

Heute wird durchschnittlich alle sechs Wochen ein neuer Kurs produziert. Permanent laufen jeweils 20 Kurse in drei Sprachen gleichzeitig. Wer
einen Kurs besuchen will, muss sich authentifizieren, damit der Server weiss, welches Modul er freigeben muss. Das System ist mit einer Schnittstelle zu SAP ausgestattet, das dabei quasi als Muttersystem dient, auf dem alle Auswertungen stattfinden.
Die zur Verfügung stehenden Kurse sind jeweils mit einem Zeitfenster von zehn Wochen versehen. «Wenn man kein Enddatum definiert, bleibt der Kurs oft liegen», schildert Meyer seine Erfahrungen. Während der zehn Wochen erhalten Kursteilnehmer Unterstützung. So wird jeder Kurs durch Online-Ausbildner betreut, die allenfalls unterstützend eingreifen können.
Wurde ein Kurs absolviert oder verfällt das Zeitfenster, wird der jeweilige Lehrgang automatisch unter «archivierte Kurse» abgelegt. Archivierte Kurse sind jederzeit zugänglich und sollen als Nachschlagewerke dienen. Aktive Unterstützung in Form von
E-Mail- oder Telefonsupport gibt es dann aber nicht mehr.
Die eigentliche Herausforderung lag darin, Kurse zu entwickeln, die auf eine
hohe Akzeptanz stossen und auch von weniger versierten Computeranwendern genutzt werden.
Die ein- bis dreistündigen Kurse sind dann spielerisch und interaktiv aufgebaut. Der Lernende muss Fragen zum Thema beantworten. Nur wer die Frage falsch beantwortet, muss sich durch die Theorie arbeiten. So will man erreichen, dass der Mitarbeiter nur das lernen muss, was er noch nicht kann.


Technik zweitrangig

«Der Erfolg beim Online-Lernen hängt mehr von den methodisch-didaktischen Konzepten ab als von der Technik», fasst Meyer seine Erfahrungen zusammen. Seine Herausforderung besteht darin, immer wieder neue, interessantere und bessere Konzepte zu entwickeln.
Dazu ein konkretes Beispiel: Meyer hatte die Aufgabe, ein Update für den Kurs Halbedelsteine zu machen. «Wir konnten natürlich nicht dasselbe tun, wie bei den zwei Kursen zuvor», so Meyer. In der Folge kombinierte man den Lehrgang mit einem Anreiz. Richtige Antworten generieren Buchstaben, die in einer Flash-Animation eingegeben werden müssen und zu einem Lösungswort führen. Dieses kann mittels eines Wettbewerbstalon eingeschickt werden kann. Als Belohnung erhält jeder, der den Kurs erfolgreich absolviert, einen Halbedelstein. «Interaktivität, das spielerische Element und die Belohnung sind Anreiz zum Lernen», sagt Meyer.


Aus Erfahrung lernen

Manor setzt mittlerweile sein E-Learning-System in sämtlichen Unternehmensfeldern ein und erreicht bei den Mitarbeitern eine Akzeptanz von zwischen 60 und 70 Prozent. Eine hundertprozentige Akzeptanz werde es nie geben, so Meyer, der sich 80 Prozent zum Ziel gesetzt hat. Im Endausbau sollen 50 Prozent aller insgesamt rund 200 Weiterbildungskurse bei Manor ausschliesslich online angeboten werden, während 50 Prozent entweder im Blended-Learning-System oder im Präsenzunterricht absolviert werden.
Auf die Frage, ob bei der E-Learning-Einführung auch etwas schief gelaufen sei, antwortet Meyer: «Anfänglich haben wir die technischen Hilfsmittel überschätzt, indem wir dachten, je mehr desto besser. Dabei hatten wir ganz vergessen, dass es auch Leute gibt, die das Zehnfingersystem nicht beherrschen.» Er rät denn auch, dass man Erfahrungen aus absolvierten Kursen in die kommenden Module einbringen sollte.


Verantwortliche delegieren

«Das Thema E-Learning fristet in vielen Unternehmen immer noch ein Mauerblümchendasein», bedauert Meyer. «Es sind leider immer noch die grossen Firmen, die die Nase vorne haben.» Kleine und mittlere Firmen hätten entweder kein Budget oder Angst, dass es zuviel kostet. Ein häufiger Fehler sei ausserdem, dass Unternehmen beispielsweise die IT-Abteilung zusätzlich mit E-Learning beauftragten. «Man muss den Mut haben, je nach Grösse eine oder zwei Personen für reine E-Learning-Aufgaben zu delegieren», so Meyer.
Ausserdem müsse man E-Learning als ergänzendes Element zum Präsenzunterricht betrachten. «Man darf nicht der Illusion erliegen, man könne die ganze Ausbildung nur noch online machen», betont Meyer.


E-Learning Award für Manor

Manor wurde mit dem europäischen E-Learning Award «eureleA» in der Kategorie Large Enterprise Projects ausgezeichnet. Der Preis wurde für das Online-Lernangebot «Fachwissen Bijoux Flirt» für die Modeschmuckabteilung verliehen. Ausschlaggebend waren unter anderem die praxisorientierte Umsetzung, die Mehrsprachigkeit sowie die hervorragende Vernetzung des Unternehmens. Manor verfügt über ein Informatiksystem mit insgesamt 3500 vernetzten PCs, die von den Mitarbeitern für E-Learning benutzt werden können.




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