Gesucht: IT-Lehrstelle

Bis 150 Bewerbungen bekommen Schweizer IT-Unternehmen auf eine Lehrstellenausschreibung. Nur die Besten haben eine Chance.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/04

     

Im Sommer ist es wieder soweit. Tausende von Jugendlichen beenden die Schule und wollen eine Lehre beginnen. Auf dem ausgetrockneten Arbeitsmarkt wird es jedoch kaum möglich sein, für alle einen Ausbildungsplatz zu finden.



Für den Lehrstellenmangel ist in erster Linie die wirtschaftliche Situation verantwortlich. Viele kleine und mittlere Betriebe wollen aus finanziellen Gründen keine Lehrlinge mehr einstellen, dazu kommen zahlreiche Betriebsschliessungen und Stellenkürzungen.




Wie gross der Lehrstelleneinbruch in diesem Jahr wirklich sein wird, zeigt sich erst Ende Mai. Im selben Monat können sich die Stimmbürger zur Lehrstellen-Initiative an der Urne äussern. Diese verlangt, dass alle Firmen, die keine oder nicht genügend Lehrlinge ausbilden, zur Kasse gebeten werden, damit Ausbildungsinitiativen der öffentlichen Hand finanziert werden können.



In einer Umfrage wollte InfoWeek wissen, wie sich die Schweizer IT-Unternehmen zur Lehrlingssituation stellen.


Tendenziell mehr Lehrstellen

Lehrstellen als Informatiker sind äusserst begehrt. Inzwischen haben sich viele KMU und zunehmend auch grosse Firmen auf diese Lehre eingestellt und beginnen massiv Lehrlinge auszubilden. So auch Unysis. Bis vor drei Jahren hatte das Unternehmen keine Informatik-Lehrlinge. Einzig zwei KV-Lehrlinge wurden ausgebildet. Susan Graenicher Jung, Human Resources Manager bei Unisys erklärt: "Mit dem Entscheid, uns für Informatik-Lehrlinge zu engagieren, wollten wir unseren Ausbildungsauftrag erfüllen. Mit anderen Worten: Wir wollten dem Arbeitsmarkt nicht nur gut ausgebildete Informatiker entnehmen, sondern ihm auch solche zuführen. Nebst diesen Überlegungen sind Lehrlinge alleine schon durch ihr jugendliches Alter eine Bereicherung für jedes Unternehmen." Heute absolvieren vier Informatiklehrlinge bei Unisys ihre Ausbildung.



Auch bei Hewlett-Packard kann man heute mehr Lehrstellen präsentieren als noch vor drei Jahren. "Durch die Fusion von HP und Compaq ist es möglich, in gewissen Bereichen neue Lehrplätze anzubieten. Überdies ist die Zahl der Betreuenden durch den Merger gestiegen, was sich günstig auf die Ausbildung von Lernenden auswirkt", so Elisabeth Bilger, Leiterin Lehrlingsausbildung und Human Resources.




Dass Ausbildungsplätze gerade in der IT äusserst beliebt sind, beweisen auch die vielen Bewerbungen, welche Unternehmen auf eine ausgeschriebene Lehrstelle bekommen. Iris Weber, Mitglied der Unternehmensleitung bei Bison, begründet den grossen Ansturm für Informatiklehrstellen vor allem durch die Tatsache, dass Bison nicht ausschliesslich in Vertrieb und Projekteinführung, sondern auch in der Entwicklung tätig ist.



Bei Systor gingen letztes Jahr auf vier ausgeschriebene Stellen über 600 Bewerbungen ein. IBM bekam für die in diesem Jahr offenen fünf KV- und zehn Informatiklehrstellen bis heute 670 Bewerbungen.




Qual der Wahl

Unter so vielen Bewerbern den geeignetsten zu wählen ist sicher nicht einfach. So haben die meisten Firmen klare Auswahlverfahren. Viel Wert legt man bei Unisys auf die Persönlichkeit des jungen Menschen. Er muss schon eine gewisse Selbständigkeit mitbringen, soll aber kein IT-Crack sein, und neben seinem Interesse für Computer auch andere Hobbys ausüben oder sich in Vereinen engagieren. Ein stabiles soziales Umfeld mit Familie und Freunden sowie eine gute Gesundheit, verbunden mit einer positiven Grundeinstellung seien sicher beste Voraussetzungen, um eine Lehre erfolgreich zu absolvieren. "Ausserdem achten wir auf die Vitalität beim Bewerbungsgespräch, zum Beispiel wie interessiert sich der Lehrling beim Rundgang durch das Unternehmen zeigt. Wichtig ist auch, wie er seine Fragen und Vorstellungen artikulieren kann - alles Anhaltspunkte, die eine Entscheidung positiv beeinflussen können", führt Susan Graenicher Jung aus. "Wir verlangen einen guten Abschluss der Sekundarschule und eine gute Note in Mathematik. Zudem berücksichtigen wir die Auswertung des ZLI-Eignungstests.
Auch wer sich bei IBM auf eine Lehrstelle bewirbt, sollte gute Sekundarschulnoten und einen absolvierten ZLI-Test mitbringen. Es wird aber auch auf eine saubere fehlerfreie Bewerbung geachtet. Teamfähigkeit und Interesse an einer Lehre im IT-Bereich müsse natürlich auch vorhanden sein.



Caroline Jegle, Personalverantwortliche bei Sage Sesam, lädt potentielle Bewerber nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch zu einem Schnuppertag ein. So könne man schnell feststellen, ob der Lehrling ins Team passe. Gute Schulnoten sollte er allerdings mitbringen und Interesse sollte spürbar sein.




Die Leiterin der Lehrlingsausbildung bei HP legt grossen Wert auf gute schulische Leistungen, vor allem in den Hauptfächern Deutsch, Französisch, Englisch und Mathe. Weitere Kriterien seien gute Umgangsformen, Kommunikationsfähigkeit, sich auf Veränderungen einstellen zu können und ein gewisses Mass an Flexibilität. "Das Vorhandensein dieser Eigenschaften testen wir am Schnuppertag, der Aufschluss gibt, ob das Unternehmen und der Schnupperlehrling zusammenpassen", sagt Elisabeth Bilger.




Wie geht's nach der Lehre weiter?

Der Stellenmarkt ist ausgetrocknet, einen Arbeitsplatz zu finden wird immer schwieriger - vor allem wenn man noch keine Berufserfahrung vorzuweisen hat. Was geschieht mit Jugendlichen, deren Lehre dieses Jahr zu Ende geht? Bei HP ist das Ziel der Lehrlingsausbildung, dem Unternehmen den Nachwuchs zu sichern. Darauf werden die angehenden Berufsleute von den HR-Managern frühzeitig aufmerksam gemacht. Es wird darauf geachtet, dass man den Lehrlingen vor Lehrende ein passendes Stellenangebot unterbreiten kann. Auch bei Sage Sesam hofft man, den Jugendlichen einen Job in der Firma anbieten zu können. Sollte dies nicht der Fall sein, werden die Lehrabgänger soweit als möglich bei der Stellensuche unterstützt. Bei Softwareentwickler Bison liegt die Sache ähnlich. "Einige Ausgebildete entscheiden von sich aus, zunächst die Welt etwas kennenzulernen, andere wollen bewusst in weitere Unternehmen einsehen. Nach Möglichkeit versuchen wir natürlich, Lehrlingen bei uns eine feste Arbeitsstelle anzubieten. Schon während der Lehrzeit werden die Lehrlinge sehr intensiv in den Berufsalltag und die Arbeitsprozesse eingebunden und übernehmen Verantwortung - es ist deshalb auch im Interesse der Firma, eine Weiterbeschäftigung anzustreben", erläutert Personalfachfrau Iris Weber.





Düstere Perspektiven

Nach Meinung der Fachleute, wird sich die Situation auf dem Lehrstellenmarkt in den kommenden Jahren kaum entschärfen. Zahlreiche Schulabgänger ohne Lehrstelle haben vorerst ein zehntes Schuljahr angehängt. Gefordert sind nicht nur die Jugendlichen, die bei der Lehrstellensuche immer mehr Einsatz und Flexibilität beweisen müssen. Gefordert sind auch Fachkräfte aus Wirtschaft, Politik und Bildungswesen, die nach neuen, sinnvollen Lösungen suchen müssen.



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