Swiss IT Magazine: IT und Kultur haben auf den ersten Blick ja nicht viel gemein. Wie kommen Sie klar im Umfeld Kulturschaffender?Theodor Scherrer: Das Umfeld ist natürlich spannend. Ich selbst bin zwar kein Operngänger, gehe aber gerne ins Ballett oder ins Theater.
Schauen Sie sich die Vorstellungen jeweils selbst an?Nicht alle. Die IT kann sich durchaus erlauben, ein wenig Abstand zu halten. Man muss aber verstehen, wie der Betrieb funktioniert.
Und wie funktioniert der Betrieb?Anders als viele denken, sind wir gross. Das Opernhaus hat rund 600 Mitarbeiter und 300 Arbeitsplätze. Das Schauspielhaus hat rund 300 Mitarbeiter mit 200 Arbeitsplätzen. Also betreuen und supporten wir 500 Arbeitsplätze mit Standard-IT.
Wofür ist die IT noch verantwortlich?Wir betreiben das Ticketverkaufssystem für Karten und die Systeme, die unsere Mitarbeiter benutzen, um Vorstellungen, Einsätze, Räumlichkeiten und Ressourcen zu planen. Das Opernhaus plant einige Jahre im Voraus, weil dort internationale Künstler engagiert werden. Wichtig ist, dass wir klar zwischen Bühnentechnik und IT unterscheiden, wobei wir uns untereinander natürlich abstimmen.
Wie gross ist Ihr IT-Team?Wir sind sieben Leute, aber nur 5,8 Stellen. Wir haben einen Spezialisten für die Applikationen und den Support fürs Ticketsystem, zwei Systemadministratoren und anderthalb allgemeine Supporter. Dann gibt es noch eine Administrationsstelle für Abrechnungen mit anderen Theatern, weil ein paar weitere Theater in Zürich, Luzern und Winterthur über unser Ticketsystem verkaufen.
(Quelle: Opernhaus Zürich)
(Quelle: Opernhaus Zürich)
Theodor Scherrer (58) leitet seit 2002 die IT des Opernhauses und des Schauspielhauses, zu dem auch der Schiffbau in Zürich gehört. Der gelernte Softwareentwickler und dipl. Wirtschaftsinformatiker war zuvor 13 Jahre in der IT im Gesundheitswesen tätig und davor unter anderem bei NCR, Swissair und auch selbständig unterwegs. (Quelle: Opernhaus Zürich)
Welches System nutzen Sie?Die Anwendung kommt von einem deutschen Anbieter, der sich auf klassische Kulturtickets spezialisiert hat. Der Markt für Kultursoftware ist leider sehr klein. Grosse Hersteller interessieren sich nicht für Theater- und Opernhäuser, weil dort kaum Geld zu holen ist. Wir schliessen uns deshalb mit mehreren Theatern zusammen, so verdient dann auch der Hersteller.
Was gehört noch zu Ihren Aufgaben als CIO?Ich erstelle den Einsatzplan für die Mitarbeiter und den Budgetplan. Wir sind in den Häusern natürlich ein Kostenfaktor, den man tief zu halten versucht. Ausserdem erstelle ich den Notfallplan, sprich ich lege fest, wie man in Katastrophen reagieren sollte.
Was könnte schlimmstenfalls passieren?Eine maximale Katastrophe wäre, wenn das Schauspielhaus brennt, in dem die meisten Server stehen.
Was wäre dann zu tun?Wir müssten die Server im Opernhaus hochfahren. Dort sind sämtliche Daten, die wir hier im Schauspielhaus haben, gespiegelt. Die Schwierigkeit ist allerdings, dass Verbindungen defekt sein könnten. Solche Szenarien spielen wir durch und zeigen dem Management, was das für den Betrieb bedeutet.
Mussten Sie Ihren Notfallplan schon mal anwenden?Nein, zum Glück nicht. Wir hatten aber schon zweimal mit Stromausfällen zu kämpfen. Beim ersten Mal waren im Schauspielhaus alle Server tot. Allerdings hatten alle Verständnis, weil auch die Trams nicht mehr fuhren. Ein anderes Mal ist im Zürcher Kreis 5 und damit auch im Schiffbau der Strom ausgefallen, wo wir die Daten sichern. Aber der Fokus lag auf dem Prime Tower, bei dem der Strom auch ausgefallen ist. Was bei Nutzern jeweils auf Unverständnis trifft ist, dass wenn der Strom wieder da ist, die Server trotzdem noch eine Zeit brauchen, bis sie wieder hochgefahren sind.
Welche Daten sind auf den Servern gespeichert?Persönliche Angaben der Kunden. Wenn wir Reservationen nicht mehr einsehen können, weil das System nicht läuft, weiss man nicht, wer an welchem Platz sitzt. Wir haben also mit dem Management besprochen, dass Vorstellungen eventuell ausfallen müssen. Der Strom lief aber rechtzeitig wieder.
Wie ist die Infrastruktur konkret aufgebaut?Wir haben rund 90 zentrale Server, wovon 70 Server virtuell sind. Die Hälfte steht im Schauspielhaus und die andere Hälfte im Opernhaus. Am dritten Standort im Schiffbau werden unsere Daten gesichert. Das Ganze ist mit Glasfaser verbunden, die wir von der EWZ Zürich zugemietet haben. Und Aussenstandorte wie zugemietete Büros sind auch mit Glasfasern von Drittanbietern erschlossen.
Wo liegen Besonderheiten Ihrer IT?Wir sind keine besondere IT, sondern eine klassische KMU-IT. Speziell ist vielleicht, dass bei uns der künstlerische Direktor der oberste Chef ist, was in anderen Industriebetrieben der Manager ist. Unsere IT ist aber nicht der Kunst unterstellt, sondern der kaufmännischen Direktion.
Wie ist der Stellenwert der IT hier?Es gab schon Zeiten, in denen sich die IT sehr wichtig genommen hat, das ist heute nicht mehr so. Wir haben einen Dienstleistungsanspruch, sprich wir wollen den Kunstbetrieb unterstützen und die IT nicht als Selbstzweck sehen. Klar ist die IT wichtig, damit ein Betrieb läuft und innovativ sein kann, aber bei uns steht ganz klar die Kunst im Vordergrund.
Spannend – sonst hört man gerne, dass die IT in Betrieben immer wichtiger wird…Manchmal wird die IT auch überbewertet. Man muss sich nicht so wichtig nehmen.
Was halten Sie von Trendthemen wie dem Internet der Dinge?Für mich ist nicht fassbar, was das Internet der Dinge alles heissen kann. Man warnt ja auch vor der Gefahr, dass die Systeme nicht genügend geschützt sind. Das sieht man schliesslich bei Unterhaltungselektronik mit Internetverbindung, wo man am Ende nicht mehr weiss, wer sich noch einwählen kann. Wir halten also Abstand.
…und ist die Cloud ein Thema?Die Cloud ist einfach ein Schlagwort. Wir sind die Cloud für andere Theater, die ihre Daten bei uns speichern. Wir selbst nutzen die Cloud nicht, beobachten aber die Entwicklung, falls gewisse Bereiche darüber günstiger wären. Wir dürfen nicht zu teuer produzieren und nichts machen, was andere besser machen. Wir kaufen aber nur ganz spezialisierte Dienste dazu.
Was kaufen Sie aktuell noch dazu?Das Netzwerk machen wir nicht selbst, das ist zu komplex. Wenn wir das Spezial-Know-how durch Mitarbeiter ins Haus holen würden, müssten wir das teuer zahlen. Auch der Mailserver-Unterhalt ist ausgelagert, und auch unsere Webseiten betreuen andere.
Welche Projekte stehen bei Ihnen an?Wir wollen unser Ticketsystem verbessern, weil Kunden immer höhere Ansprüche an den Onlineverkauf haben. Ausserdem hat das Marketing immer höhere Ansprüche bezüglich Schnittstellen, damit Daten an andere Systeme übermittelt werden.
Höhere Anforderung bedeutet: personalisierte Werbung?Genau, und das Marketing wäre soweit, nur unsere Anwendungen nicht. Daher sind wir unter Druck, bessere Software zu beschaffen. Das ist schwierig, weil man bestehende Systeme ja nicht einfach auswechseln kann, das bringt ja Umstellungen und Umschulungen mit sich.
Was steht beim Online-Ticketing an?
Die Kunden wollen auswählen können, wo sie im Theater oder in der Oper sitzen. Ausserdem wollen Abonnenten und Aktionäre ihren Rabatt auch online nutzen können. Unser System bietet das nicht optimal an. Wir stehen nun vor der Wahl, das Thema mit dem Hersteller anzuschauen oder den Hersteller zu wechseln.
Wie sieht Ihr Alltag sonst aus, sind Ihre Arbeitszeiten den Spielplänen angepasst?
Wir unterstützen die Billettkasse, die bis um acht Uhr geöffnet ist. Somit hat immer ein Mitarbeiter einen verschobenen Dienst. Und am Wochenende haben wir Pikettdienst. Wenn irgendwo Probleme auftauchen, kommen wir. Klar arbeitet man je nach Projektstand oder wenn man in der Nacht Umstellungen machen muss, mehr. Aber wir haben kein 24-Stunden-Dienst, wie zum Beispiel im öffentlichen Dienst oder bei der Polizei. Das ist mit unserem kleinen Personalbestand gar nicht möglich.
Sie scheinen auf jeden Fall ein treuer Mitarbeiter zu sein, Sie sind seit fast 15 Jahren dabei. Was hält Sie?
Dass ich hinter dem Betrieb stehen kann, der etwas Schönes vollbringt. Ausserdem habe ich ein tolles Team und fühle mich von meinen Vorgesetzten wertgeschätzt. Das hält mich hier. Und IT ist natürlich sowieso spannend.
Wie sind Sie in die IT gekommen?
Ich habe mich nach meiner kaufmännischen Grundausbildung in den 80er Jahren zum Programmierer ausbilden lassen bei einem Hersteller, der heute fast nicht mehr existiert: NCR. Damals einer der grössten Schweizer IT-Produzenten, knapp hinter IBM. Dort war ich einige Jahre als Softwareentwickler tätig. Anfang der 90er bin ich in ein Spital, war dort 13 Jahre. Durch einen glücklichen Umstand durfte ich vor bald 15 Jahren hier meine Stelle antreten.
Welcher glückliche Umstand?
Die IT war völlig auseinandergebrochen. Das hatte damit zu tun, dass Visionen meiner Vorgänger zu dem Zeitpunkt nicht zu realisieren waren. So hat man in der Not Leute gesucht, die die völlig verwaiste IT übernehmen.
Welche Vision der Vorgänger ist gescheitert?
Die Idee war, den Bühnenbetrieb inklusive IT aus einem Guss anzubieten. Dann hätten wir vom Büro aus zum Beispiel die Beleuchtung der Bühne steuern können. Das war zu Zeiten der Internetblase, als man dachte, das Internet würde alles lösen, was dann eben nicht der Fall war. Heute könnte man die Idee wahrscheinlich umsetzen, aber wir wollen es nicht mehr. Die Bühne soll autonom arbeiten können, auch um die Sicherheit zu gewährleisten und Unfälle zu verhindern.
Was war damals Ihr Ziel, als Sie hier begonnen haben?
Damals gab es noch keinen Ticketverkauf über das Internet, das wollten wir einführen, was uns geglückt ist. Ausserdem wollten wir mehr Anwendungen einführen, was wir nur teilweise erreicht haben, weil der Markt zu klein ist. Es gibt leider nicht die ideale Betriebsanwendung, die alles kann.
Zu guter letzt: Wo sehen Sie sich in 15 Jahren?
Auf den Bahamas (lacht). Ich werde mich sicher weiterhin der IT widmen, aber nicht mehr beruflich. Aber bis dahin haben wir noch einiges vor, was Schnittstellen angeht oder die nächste Betriebssystem-Version. Im Moment haben wir noch Windows 7, aber wir werden wahrscheinlich in einem Jahr auf Windows 10 umstellen, wenn alles klappt.
(aks)