Swiss IT Magazine: Herr Siegenthaler, wie ist es, in einer Ferienregion zu arbeiten?
Urs Siegenthaler: Wie in jeder anderen Region auch. Die Arbeit geht nicht schneller voran und ist auch nicht weniger. Aber es ist natürlich schön, wenn man Feierabend, Wochenende oder Ferien hat, und all die Möglichkeiten nutzen kann, die einem die Jungfrau-Region bietet.
Welche Tätigkeit geniessen Sie hier in Ihrer Freizeit besonders?Mountainbiken und mit der Familie Wandern und Skifahren.
Sind Sie für den Job hierhergezogen?Ja, ich war in der Nähe im Militärdienst, seitdem war es ein Traum von mir, hier für ein Unternehmen zu arbeiten. Und die Jungfraubahnen haben eine Grösse und Vielfalt, die mir zugesagt hat. Es war also eine bewusste Entscheidung für die Region und für die Firma.
Urs Siegenthaler (51) leitet seit 2009 die IT der Jungfraubahn-Gruppe. (Quelle: Jungfraubahn-Gruppe)
Die fünfköpfige IT-Abteilung der Jungfraubahn-Gruppe ist in allerlei Projekte involviert, bei denen durch IT das Touristenerlebnis komfortabler wird. (Quelle: Jungfraubahn-Gruppe)
(Quelle: Jungfraubahn-Gruppe)
Was macht den Reiz für Sie an Ihrer Arbeit aus?Es ist der Mix: Mit Technik und mit Menschen zu tun zu haben und ausserdem in Projekte involviert zu sein. Bei den Jungfraubahnen ist es wie im Gemischtwarenladen. Wir haben die klassischen Bedürfnisse von Office-Arbeitsplätzen und wir haben verschiedene Anwendungen für unsere Bahnen – Schienenbahnen, Seilbahnen, Skilifte –, unsere Parkhäuser, das Kraftwerk und die Souvenirshops. Das macht es sehr spannend.
Wofür sind Sie und Ihr Team bei den Jungfraubahnen konkret zuständig?Wir decken ein klassiches IT-Spektrum ab. Zum einen bauen und betreiben wir Netzwerke und Sicherheitslösungen, also Firewalls, VPN-Lösungen. Ausserdem richten wir Büro-Arbeitsplätze ein, ob mit Desktop-PC, Tablet oder Notebook. Und wir stellen den Serverbetrieb für die Anwendungen sicher, vom ERP über Intranet bis zu Buchungs- und Reservationslösungen sowie Billet- und Sportpasssystem – inklusive Datensicherung und dem Kontakt zu den Partnern, die von extern zudienen. Schliesslich betreiben wir auch die Telefonanlage für die Bahnen; das sind etwa 1000 Telefonendgeräte in der Region vom Jungfraujoch bis zur Harder Kulm.
Wie ist Ihre IT aufgestellt?
Zwei Leute betreuen rund 350 Clients und rund 65 Server vom Büro in Interlaken aus. Und in Zweilütschinen sind zwei Leute stationiert, die sich um das Netzwerk – also Glasfaserkabel, Kupferkabel, Router, Switches – kümmern sowie um den Telefonanlagebetrieb.
Sie sind also recht schlank aufgestellt…
Ja, mit insgesamt fünf Leuten können wir natürlich nicht alles machen. Für Anwendungen sind Applikationsverantwortliche zuständig: Zum Beispiel für unsere Finanzanwendung Abacus gibt es im Bereich Finanzen einen Applikationsverantwortlichen. Die Anwendung läuft zwar auf Serversystemen, die wir betreiben. Aber der Verantwortliche bestimmt, wann Updates anstehen oder ein neues Modul eingesetzt wird. Zusätzlich kümmert er sich um die Benutzer- und Berechtigungsverwaltung. Das Changemanagement stimmen wir gemeinsam ab.
Also sind die Applikationsverantwortlichen nicht Ihnen unterstellt?
Nein, aber fachlich arbeiten wir eng zusammen.
An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?
Die Jungfraubahnen machen im Moment einen recht grossen Wandel durch. Wir bauen zum Beispiel ein neues Verkaufsvertriebssystem. Die Insellösungen, die wir heute haben, versuchen wir aktuell in einer Systemlandschaft mit einem einheitlichen Client zu realisieren. Damit soll es möglich werden, vom Sportpass über das Bergbahnticket, den Güterverkehr und die Reservation alles abzuwickeln, und zwar egal ob bei uns intern, in einem Hotel oder beim Tour-Anbieter. Gleichzeitig wollen wir über ein Platzreservationssystem jedem Kunden einen Sitzplatz anbieten können.
Wie weit sind Sie in diesem Projekt?
Zum Start der Wintersaison im November 2015 haben wir den Sportpass-Teil in Betrieb genommen. Wir mussten die gesamte Zugangsinfrastruktur im Gebiet ersetzen, die Anwendung ablösen und die neuen Produktsortimente entsprechend abbilden. Wir haben 60 Kassen ausgewechselt, 60 Hotels mit neuem Drucker und neuer Software ausgerüstet. Dieses Jahr stehen die Module Bergbahnticketing und Güterabwicklung an und als Abschluss wird das Reservationsmodul abgelöst.
Gab es Schwierigkeiten bei der Systemumstellung?
Ich bin erstaunt, wie reibungslos es über die Bühne ging, aber ganz ohne Mängel geht es doch nie. Am ersten Tag gab es an den Kassenstandorten ein paar Bedienungsschwierigkeiten, weil das neue System nicht mehr ganz gleich ist wie das alte. Wir hatten die Mitarbeiter zwar geschult, aber ein neues System braucht trotzdem eine Angewöhnungszeit. Funktioniert hat sonst alles, die Gäste konnten wie gewohnt die Gates passieren und Sportpässe kaufen. Jetzt hoffen wir, dass es so erfreulich weitergeht.
Wer hat den Lead im Projekt?
Der Bereich Vertrieb entscheidet, was die Anwendung genau können soll. Externe Partner und wir agieren als Service-Partner.
Welche Projekte haben Sie noch auf dem Schirm?
Wir erneuern das Kundeninformationssystem. In Zukunft sollen alle Züge mit einem Bildschirm ausgestattet sein, der Abfahrts-, Ankunfts- und Anschlussinformationen anzeigt. Auf einem separaten Monitor wollen wir zudem Fremd- oder Eigenwerbung anzeigen können. Stationär an Bahnhöfen sollen Infostellen mit Vorlesefunktion und Infotaste anzeigen, wann welcher Zug fährt. Und wir überarbeiten unsere Webpräsenz, um passende Inhalte für verschiedene Märkte liefern zu können.
Das heisst?
70 Prozent unserer Jungfraujoch-Gäste kommen aus dem asiatischen Raum. Wir möchten sie mit passenden Inhalten früher abholen, so dass bei ihnen der Wunsch wächst, das Jungfraujoch zu besuchen. Dazu gehört auch, dass sie direkt in ihren Ländern buchen können, privat oder über Reiseorganisatoren.
Im Jahr 2015 reisten eine Million Menschen auf das Jungfraujoch, 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Wird Ihr Job proportional stressiger mit der Anzahl Besucher?
Wenn die Züge weniger voll wären, würden wir nicht über ein neues Reservationssystem, das wir nächstes Jahr an den Start bringen wollen, reden. Das ist natürlich primär deshalb nötig, weil wir so erfolgreich sind.
Worauf legen Sie wert, um all die Projekte unterzubringen?
In den wichtigen Projekten bin ich vor allem in der Konzeptionsphase dabei, um mit abzuschätzen, was die Konsequenzen sein könnten. Allerdings sind im Tourismus-Umfeld manchmal unkonventionelle Lösungen mit schnellem Resultat gefragt, die man später nachbessern muss.
Was bereitet Ihnen aktuell am meisten Kopfschmerzen?
Neben Themen wie Sicherheit und Governance setzen Informatik-Abteilungen wie unsere, die heute noch der Überzeugung sind, dass es nicht so schlecht ist, Dinge selbst zu machen, natürlich die über allen schwebenden Mega-Themen wie Internet of Things und Cloud unter Druck.
Wie manifestiert sich das?
Die Cloud soll, plakativ gesagt, das Allerheilmittel sein. In jedem Manager-Magazin und sogar in Fernsehwerbung ist die Rede von der Cloud. Da kommt von Manager-Ebene die Frage: Wieso leisten wir uns überhaupt noch Informatik? Wir werden uns rechtfertigen müssen, rein von der Leistung und der Aufgabenerfüllung, aber sicher auch von den Kosten her. Das Geschäft wird sich zwangsläufig wandeln. Firmen wie Microsoft stecken Milliardenbeträge in das Thema mit ihren Datacentern rund um die Welt. Meine Vermutung ist: Sie werden versuchen, einen enormen Preisdruck aufzubauen, so dass man fast nicht darum herum kommen wird, mit gewissen Themen zu ihnen zu gehen – ob man will oder nicht. In dem Kontext wird man sich zurechtfinden und herausfinden müssen, was eine gute Lösung für die Unternehmung ist.
Haben Sie Cloud-Lösungen im Einsatz?
Wir machen bei weitem nicht alles selbst hier im Haus. Schon seit ein paar Jahren läuft zum Beispiel unser Aktienregister als Software extern, wir arbeiten per Web-Interface. Auch unser Seilbahnunterhaltsystem und unser Shopsystem, über das wir Souvenir-Artikel verkaufen, laufen bei einem Partner. In dem Prozess waren wir schon lange, bevor die Cloud zum Mega-Thema wurde.
Wo sehen Sie Potentiale im Bereich Internet der Dinge?
Vielleicht wird es uns damit möglich zu sehen, wie sich unsere Gäste auf der Piste bewegen, wie lange sie in Bereichen wie Restaurants und Warteräumen verweilen. Es kann durchaus sein, dass wir dabei rasch vorankommen, es kann aber auch sein, dass gerade vom Daten- und Persönlichkeitsschutz her Riegel vorgeschoben werden. Informationen zu Zügen, einer Liftanlage, einer Trafostation erhalten wir aber natürlich schon heute durch das Internet der Dinge. Das werden wir in Zukunft sicher ausbauen, um noch bessere Informationen zum Betreiben solcher Anlagen zu erhalten.
Was steht dieses Jahr im IT-Kerngeschäft an?
Wir überlegen uns, wie der Arbeitsplatz der nächsten Generation für uns aussieht – ab Ende 2016, Anfang 2017. Sprich, welches Betriebssystem, welches Office, sollen immer noch Fat Clients oder Virtual Desktops zum Einsatz kommen. Die üblichen Themen. Ausserdem wollen wir im Bereich Sicherheit die Firewalls erneuern – Stichwort Next Generation Firewalls, die bessere Möglichkeiten in der Analyse des Datenverkehrs und beim Steuern der Datenverbindungen bieten. Im Windows-Umfeld heisst es, den Betrieb konsolidieren und halten. Laufend versuchen wir weitere Systeme zu virtualisieren.
Zum Beispiel?
Wir haben Parking-Lösungen, die im Moment auf Einzel-PCs dezentral laufen. Die vier Parking-Anlagen sind vom gleichen Partner und stehen auf unserer Virtualisierungs-Wunschliste.
In welchen Bereich investieren Sie am meisten?
Wir unterscheiden zwischen IT-Kernaufgaben und Applikationen. Unter IT-Kernaufgaben sind Netzwerk, PC-Arbeitsplätze, die nötigen Microsoft-Lizenzen, Datensicherung und die Datensicherheit gefasst. Da haben wir für 2016 ein Betriebsbudget von einer Million, ohne Personalkosten. Für die Applikationen sind rund 2,2 Millionen vorgesehen. Das Verhältnis ist somit etwa eins zu zwei. Der laufende Aufwand und die Investitionen für die IT-Kernaufgaben sind überschaubar und kalkulierbar – was man für einen PC ausgibt, wie viel Office kostet und die Server dazu. Anders sieht es bei den Anwendungen aus. Wenn man eine Idee oder Anforderungen hat, die man umsetzen möchte, zieht das meistens ein Projekt nach sich und dann reden wir sofort von grösseren Summen.
Also liegt der Fokus auf Anwendungen?
Das Rückgrat ist die Infrastruktur. Aber das ist heute wie Strom aus der Steckdose zu ziehen oder fernzusehen: Man erwartet, dass das läuft. Dabei kann man als IT-Abteilung nichts gewinnen. Anwendungen sorgen hingegen dafür, dass wir etwas effizienter abwickeln können, dass wir Abläufe optimieren können, kostenmässig oder qualitativ. Ausserdem sind Anwendungen unser Bindeglied zum Kunden.
Wie hat sich der Stellenwert der Informatik in den sechseinhalb Jahren, die Sie bei den Jungfraubahnen arbeiten, gewandelt?
Als ich ins Unternehmen kam, nahm man die IT als Infrastruktur-Betreiber war. Mittlerweile hat man gemerkt, dass man mit passenden IT-Lösungen die tägliche Arbeit, den Verkauf von Leistungen und die Kundenzufriedenheit positiv beeinflussen kann. Dass es eben nicht nur darum geht, dass der PC läuft. Wenn wir in der Informatik heute etwas hinterfragen, wird uns zugehört.
Zum Abschluss noch eine Frage dazu, wie man Ihrer Einschätzung nach in der Informatik erfolgreich wird: möglichst viele Weiterbildungen machen oder berufliche Erfahrung sammeln?
Beide Sachen sind absolut notwendig. Was in der Theorie funktioniert, muss noch lange nicht in der Praxis funktionieren. Darum sollte man den Erfahrungsrucksack zwar nicht überbewerten, aber auch nicht unterschätzen. Das Thema Cloud zum Beispiel sieht im Hochglanzprospekt einfach aus: anrufen, bestellen, hochfahren. Aber die Erfahrung sagt: Moment, wenn die Internetverbindung ausfällt, was bedeutet das dann für den laufenden Betrieb?
(aks)