Sparen oder nicht sparen

Durch die strategische Nutzung von Open Source lassen sich Kostenvorteile erzielen – oder doch nicht? Die Meinungen gehen diesbezüglich nach wie vor auseinander.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2014/01

     

Fast jedes Unternehmen in der Schweiz nutzt heute in irgendeiner Form Open Source Software (OSS). Dies geht aus der letzten Open Source Studie Schweiz von SwissICT und dem Open-Source-Förderverein /ch/open hervor, die im Herbst 2012 veröffentlicht wurde. Trotzdem wird das Thema nach wie vor und zum Teil auch sehr kontrovers diskutiert. Dabei geht es meist um die beiden Punkte Kosteneinsparungen und die Unabhängigkeit von Lieferanten, die neben der Unterstützung von offenen Standards und Schnittstellen als grösste Vorteile von Open-Source-Lösungen gelten. Aber auch ungeklärte Haftungsfragen, der Mangel an kommerziellen Open-Source-Dienstleistungen sowie eine fehlende Akzeptanz von Seiten der Anwender sind oft Gegenstand der Auseinandersetzungen.
Doch wie ist es nun: Fährt man mit Open Source Software langfristig günstiger oder nicht? «Swiss IT Magazine» hat diese Frage dem Schweizer Open-Source-Dienstleister Adfinis Sygroup und dem amerikanischen IT-Riesen Oracle – der seit der Übernahme von Sun bekanntlich auch ein grosses Open-Source-Standbein besitzt – gestellt und sie um ihre Meinung gebeten.

Adfinis Sygroup: OSS bietet die notwendige Flexibilität, um langfristig kostengünstigere Projekte zu realisieren

Heute stellt sich nicht weiter die Frage, ob man in der isolierten Betrachtungsweise mit Open Source Software als Lizenzform günstiger fährt oder nicht. Auch die Entwicklung und der Betrieb von Open-Source-Software-Projekten verursachen Investitions- und Betriebskosten. Und: Es gibt auf dem Markt mittlerweile auch unzählig viele kostengünstige Closed-Source-Software-Angebote in unterschiedlichster Ausprägung.
Wichtiger in der Gesamtbetrachtung der Wirtschaftlichkeit ist die Frage der Abhängigkeit von einem Softwarehersteller oder einer technischen Produktlösung. Denn, führt die Beschaffung einer zentralen Softwarekomponente die beschaffende Organisation zu einem Lieferanten mit einer proprietären Software, so führt dies schnell in die klassische Abhängigkeit, zu einem sogenannten Vendor Lock-in. Eine entsprechende Beschaffung eines proprietären Softwareprodukts kann somit gravierend Einfluss nehmen auf weitere IT-Beschaffungsprojekte, welche den Kriterien- und Bewertungskatalog im Beschaffungsprozess selbst negativ beeinflussen. Eine beschaffende Stelle darf jedoch zu keinem Zeitpunkt von einem externen Dienstleistungsanbieter oder einem Softwarehersteller im weiteren Beschaffungsprozess eingeschränkt oder einseitig beeinflusst werden. Sie muss jederzeit die Freiheit haben, die bestmöglichste, optimalste und wirtschaftlichste Softwarelösung zu evaluieren.

Muss sich ein Unternehmen zu gegebener Zeit aus einem Vendor Lock-in befreien, dann kann dies zu sehr teuren IT-Projekten führen. Die Voraussetzungen für den Ersatz einer proprietären Software sind in der Regel sehr schwierig, da kaum Kenntnisse vorhanden sind über die eingesetzten Programmlogiken und die proprietären Standards. So werden Daten-Migrationen massiv schwieriger, aufwendiger und am Ende teurer.
Es liegt auf der Hand, dass Anbieter von proprietären Softwareprodukten häufig die offenen Standards meiden, da diese dem Lizenzbasierten Business-Modell widersprechen. Wird gar ein Softwarehersteller durch einen anderen geschluckt und führt dies zu einer Produkte- oder Technologie-Sackgasse, dann sind in der Regel gerade die weniger verbreiteten Softwarelösungen und Fachapplikationen stark gefährdet. Ein Wechsel entsprechender Softwarebestandteile, ohne Einblick in die Programmlogik und ohne Nachvollziehbarkeit der Verarbeitungsprozesse, führen in der Regel zu einem kompletten, teuren Neustart.

Eine Vendor-Lock-in-Strategie funktioniert bei Open Source Software nicht, da jederzeit ein Anbieter mit entsprechenden Technologie-Kenntnissen evaluiert und hinzugezogen werden kann. So ist auch das Risiko eines kompletten Verlustes einer ganzen Softwareprodukte-Serie eines einzigen Herstellers wesentlich geringer. Bei erheblichen Markterschütterungen, wie dies zum Beispiel bei der Übernahme von Sun durch Oracle geschehen ist, werden ganze Open-Source-basierte Produkte einfach in neuen Entwicklungspfaden («Forks») aufgebaut und weitergeführt.
Ein weiterer Vorzug von Open-Source-Software-Projekten kann am Beispiel der Bauverwaltungslösung Camac des Kantons Waadt aufgezeigt werden. Diese Softwarelösung wurde als spezifischer Bedarf einer öffentlichen Verwaltung entwickelt und mit dem Open-Source-
Gedanken anderen Kantonen mit demselben Bedarf zur Verfügung gestellt. Heute ist die Lösung in vier kantonalen Bauverwaltungen (VD, TI, UR, NE) im Einsatz und ein weiterer Kanton (BL) ist in der Projektrealisierung. Dabei konnten bis heute durch die Verwaltungen selbst bereits drei Open-Source-Software-Dienstleister gefunden werden, welche die Software in den jeweiligen Bauverwaltungen nach den individuellen Bedürfnissen anpassen, einführen und weiterentwickeln. Zudem sind die kompletten Projektkosten inklusive Betriebsaufwand massiv geringer als vergleichbare Projekte in anderen kantonalen Bauverwaltungen.
Der konsequente Einsatz von Open Source Software bietet also die notwendige Flexibilität, um langfristig kostengünstigere Projekte zu realisieren und zu betreiben. Erwiesenermassen führt ein konsequenter Einsatz von Open Source Software und -Technologien ausserdem auch zu einem breiteren Angebotstellerkreis mit einem grösseren Wettbewerb und ermöglicht so mehr Innovationen.»


Michael Moser ist Verwaltungsratspräsident der Adfinis Sygroup.

Oracle: Open Source Software ist nicht unbedingt und in jedem Fall günstiger

Auf der Suche nach einer neuen Software spielt für Unternehmen verständlicherweise der Kostenaspekt eine zentrale Rolle. Vor diesem Hintergrund erscheint es auf den ersten Blick attraktiv, auf Basis von Open Source Software perfekt auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Anwendungen zu bauen. Konzentriert man sich dann nur auf die leicht identifizierbaren und vorhersehbaren Kosten, wie etwa die Aufwendungen für Lizenzen und den jährlichen Support, können die Lebenszykluskosten des Gesamtprojekts leicht aus dem Auge verloren werden.
Die Anschaffungskosten inklusive Lizenzgebühren, Support-
Verträgen und Hardware machen nur zirka 10 bis 20 Prozent des Gesamtprojekts aus. Lizenzgebühren, wie sie bei kommerziellen Anbietern zu entrichten sind, schlagen dabei also kaum zu Buche. Hingegen ist es so, dass die Gesamtbetriebskosten für Open Source Software diejenigen von kommerzieller Software häufig deutlich übersteigen.

Dynamische Unternehmensumgebungen verlangen ein grosses Ausmass an Wartung und Pflege der einzelnen Softwarekomponenten. Es ist dafür zu sorgen, dass die Software immer funktionstüchtig, auf dem aktuellsten Stand und kompatibel zur restlichen IT-Umgebung gehalten wird. Wenn Anwendungen in Eigenregie auf Basis eines Open Source Codes entwickelt wurden, liegt diese Aufgabe beim Unternehmen selbst. Die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, sind nicht zu unterschätzen – insbesondere wenn es dann gilt, die notwendigen Änderungen in den Hauptentwicklungsstrom einzubinden und die Robustheit der Neuentwicklung unter Last zu testen. Das kann extrem kompliziert sein und im schlimmsten Fall sogar dazu führen, dass aus Angst, das eigene System zu beschädigen, notwendige Updates und das Beheben von Fehlern unterbleiben. Zudem handelt es sich dabei oft um geschäftskritische Lösungen mit hoher Nachfrage, bei denen Unternehmen sich keine Ausfallzeiten leisten können. Also wird versucht, das Risiko, einen Programmierfehler einzubauen, so gering wie möglich zu halten, was sich hinterher zum Nachteil auswirken kann. Dann muss im Zweifelsfall bald schon in eine neue Lösung investiert werden, mit allen damit verbundenen Kosten wie beispielsweise Schulungen für Mitarbeiter. Kommerzielle Software-Anbieter erledigen einen Grossteil dieser anspruchsvollen Arbeit.
Sie verwenden häufig viel Zeit in die Entwicklung von Test-Werkzeugen, die Gestaltung und Verbesserung von Test-Methoden, dem Durchführen von Tests und die Sicherstellung der End-to-End-Performance. Oracle beispielsweise gibt jedes Jahr über 5 Milliarden Dollar zur Erhaltung und Verbesserung seines Technologie-Stacks aus. Dabei wird konkret auf die Bedürfnisse seiner Kunden eingegangen. Diese profitieren davon in Form von regelmässigen Software-Updates. In geschäftskritischen Umgebungen haben kommerzielle Lösungen also klar die Nase vorn.
Ein weiterer entscheidender Punkt bei der Verwendung von Open Source ist die Vielfalt von Eigentumsverhältnissen in der Open Source Community. Nutzer von Open Source Software können daher das Risiko von Urheberrechtsklagen nur nach sehr sorgfältiger Prüfung und Auswahl des richtigen Lizenzierungsmodells ausschliessen. Diese Klagen können auch noch nach der Integration in eine Lösung erhoben werden, was dann Lizenzzahlungen oder sogar einen Eigentumsverlust des Codes nach sich ziehen kann.
Ein Mangel an Langzeitplanung kann also fatale Folgen für das eigene Geschäft haben: Wird zu Beginn eines IT-Projekts falsch kalkuliert, führt das am Ende zu Budgetengpässen, was wiederum Investitionen in dringend notwendige Neuerungen unterbindet. Um ein vollständiges Bild zu erhalten, ist es ratsam, sich auch Gedanken über Kosten von Ausfallzeiten zu machen. Dazu gehören unter anderem Umsatzeinbussen, Kosten für entgangene Geschäftsmöglichkeiten oder den Einkauf externer IT-Ressourcen. Der Fokus bei der Anschaffung sollte daher besser auf dem grössten Return on Investment liegen. Im Fall von Software bedeutet dies, dass es nicht unbedingt besser ist, das auf den ersten Blick billigste Produkt einzukaufen.»


Massimo Castelli ist Director Sales Consulting Technology bei Oracle Schweiz.
(mv)


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