Im Juni 2007 hat Apple das iPhone samt dem für dessen Erfolg unabdingbaren App Store lanciert. Das App-Konzept wurde von den Endanwendern sofort verstanden, geschätzt und intensiv genutzt. Rund fünf Jahre später, am 9. Mai 2012, vermeldet die finnische App-Produzentin Rovio Entertainment, dass ihr Blockbuster Angry Birds mittlerweile über eine Milliarde Mal gekauft und heruntergeladen worden ist. Diese unglaubliche Erfolgsgeschichte steht stellvertretend für die Appconomy – das Geschäft mit dem Verkauf von Apps mittels eines ins jeweilige Betriebssystem integrierten Online-Marktplatzes.
Doch wie immer bei solchen Erfolgsstories fragt sich der geschichtskundige Leser sofort: Ist dieser Erfolg nachhaltig und die Appconomy gewissermassen das neue Software-Eldorado? Oder handelt es sich hierbei um einen weiteren IT-Hype, also eine Blase, die mittelfristig so unvermeidlich platzen wird, wie das die Internet-Bubble nach der Jahrtausendwende tat?
Es herrscht Goldgräberstimmung
Für Rovio Entertainment jedenfalls hat sich die Appconomy bisher gelohnt. Der 2003 von drei finnischen Studenten gegründete App-Publisher erreichte dank dem durchschlagenden Erfolg von Angry Birds & Co. bereits 2011 einen Umsatz von 106 Millionen Dollar, ein Betrag, der nach Schätzungen des «Wall Street Journal» 2012 bereits auf fast 200 Millionen Dollar gesteigert werden konnte. Mittlerweile stammt ein schöner Teil der Umsätze nicht mehr bloss aus dem App-Verkauf, sondern aus dem Geschäft mit Merchandising-Artikeln. Kaum ein Kinderzimmer-Gegenstand vom Knuddel-Kissen bis hin zum Bettanzug mit Kugelvogel-Motiv wird vom ornithologischen App-Sujet verschont. Und mittlerweile werden selbst real existierende Amseln, Raben und Elstern von unseren Kindern als böse Vögel tituliert.
Aber auch sonst erlebt die Appconomy aktuell bullische Zeiten. So werden gemäss Gartner die weltweiten Umsätze mit Apps bereits 2013 auf rekordhohe 25 Milliarden Dollar anschwellen, was sich auch im App-Konsumverhalten niederschlägt. Bereits heute verbringt gemäss Flurry Analytics der durchschnittliche Smartphone-User in den USA pro Tag rund zwei Stunden mit der Nutzung seiner Apps. Das ist mehr Zeit als er im Web surft. Apps werden damit gemessen an der zeitlichen Nutzung zum zweitbeliebtesten Medium und nähern sich dem in den USA bislang unangefochtenen Aufmerksamkeits-Krösus Fernsehkonsum an.
Gewinner und Verlierer im Goldrausch
Doch wie immer bei historischen Goldrausch-Wellen gibt es Gewinner und Verlierer. Blenden wir deshalb kurz in die jüngere Vergangenheit zurück und schauen, was wir aus dem realen Goldrausch für die virtuelle Neuauflage lernen können.
Der erste kalifornische Goldrausch beginnt 1848, als ein Arbeiter vor dem Sägewerk auf der Ranch Neu-Helvetien des Schweizers Johann August Sutter ein Goldnugget findet. Der Goldfund fällt in eine Zeit wirtschaftlicher Depression und lockt in der Folge Hundertausende von Zuwanderern an, die in Kalifornien ihr Glück versuchen wollen. Dem ersten Goldrausch in Kalifornien folgen noch zwei weitere Wellen mit dem Colorado Gold Rush (1858) und dem Black Hills Gold Rush (1874). Schliesslich löst 1896 ein Goldfund in Alaska einen letzten Goldrausch aus, der insgesamt mehr als 100’000 Goldsucher auf den Weg nach Klondike führen wird. Der Klondike-Goldrausch ist insofern speziell, als zu diesem Zeitpunkt bereits erste Fotokameras in Gebrauch waren und sich der interessierte Lesende via Suchmaschine im Web ein eigenes Bild von dieser verrückten Zeit machen kann.
All diesen Goldrausch-Wellen ist eines gemeinsam: Nur ganz wenige Glückspilze wurden wirklich reich. Die meisten Goldsucher blieben bettelarm, weil sie entweder nur geringe Mengen an Gold fanden, ihren Gewinn in Form von Alkohol und anderen Freuden gleich wieder verprassten oder von allerlei Dienstleistern übers Ohr gehauen wurden. Ein sicherer Weg zu Wohlstand führte derweil über den Vertrieb von Goldsucher-Equipment wie etwa dem Verkauf von strapazierfähigen Hosen aus Zeltplanen, die den deutsch-amerikanischen Industriellen Levi Strauss reich und später weltberühmt machen sollten.
Der Long Tail war nie länger
Das führt uns zurück zur Appconomy und ihren Parallelen zum grossen Goldrausch im 19. Jahrhundert. Denn neben den Gewinnern wie den super erfolgreichen App-Publishern à la Rovio Entertainment, ist es auch heute alles andere als einfach, mit dem Verkauf von Apps reich zu werden. Zu gross ist die Konkurrenz inden populären App Stores von Apple, Google oder Microsoft. Der erste App-Marktplatz wird demnächst die einmillionste App publizieren. Gemäss Beratungsdienstleister App Promo zeigt sich, dass 80 Prozent der App-Publisher zu wenig verdienen, um davon leben zu können. 68 Prozent der App-Publisher verdienen weniger als 5000 Dollar mit ihrer erfolgreichsten App und 59 Prozent aller Apps spielen nicht mal die Entwicklungskosten ein.
Ganz anders sieht die Situation für die genannten App-Store-Provider aus, die je nach Anbieter einen Anteil von 20 bis 30 Prozent am App-Verkaufspreis als Provision einstreichen, was angesichts der totalen App-Umsätze bereits jetzt ein Milliarden-Business ist. «Sillicon Alley Insider» schätzt beispielsweise, dass 2012 das letzte Jahr war, in welchem App-Marktführer Apple mit Musik- und Videoverkäufen mehr umgesetzt hat (8,1 Milliarden Dollar) als mit dem Verkauf von Apps (7,5 Milliarden Dollar).
Doch auch für die kleineren Player bietet die Appconomy ein Auskommen. Aus eigener Profilierung schätzen wir, dass mittlerweile in der Schweiz bereits über Hundert Agenturen hauptsächlich von der Auftragsentwicklung von Apps leben.
Die Appconomy steht erst am Anfang
Trotz der aus Perspektive der App-Publisher immensen internationalen Konkurrenz und dem gegenwärtigen Hype um das Thema Apps, ist vorderhand keine Ende des Wachstums der Appconomy absehbar. Der Grund dafür ist, dass sich das Potential für Apps weit über den anhaltenden Boom an weltweit verfügbaren Smartphones verbreitern wird und zwar in zwei Richtungen: Erstens vom Smartphone über das Tablet zum PC und zweitens von Consumer-Apps zu Business-Apps.
Zwar sind Apps als mobile Anwendungen für Smartphones entstanden, seit der Lancierung des iPads im Jahr 2010 erfreuen sie sich aber auch auf Tablets höchster Beliebtheit. Mehr noch, Tablets dienen ja eigentlich ausschliesslich dem Zweck als mobile Laufzeitumgebung für Apps. So erstaunt es nicht, dass auf dem Tablet im Durchschnitt 2,4 Mal mehr für Apps bezahlt wird als auf dem Smartphone. Mit dem Eintritt von Google mit Android- und Microsoft mit Windows-8-Tablets ist die installierte Basis an Geräten weiter gewachsen und wird weiter zunehmen und die Appconomy damit abermals befeuert.
Last but not least sind Apps seit dem Launch von Windows 8 Ende 2012 auch auf PCs – mit oder ohne Touch-Funktionalität – verfügbar. Damit wächst nicht nur das Potential für klassische Consumer-Apps, sondern es werden neu auch Geschäfts-Apps ermöglicht. Insbesondere auch deshalb, weil Apps auf einem Windows 8-PC auch mit Maus und Tastatur bedient werden können. Dieser Trend ist schon heute erkennbar. So bieten klassische ERP-Hersteller wie zum Beispiel SAP über den öffentlichen App-Store bereits erste Apps an, die sich ausschliesslich an Unternehmen richten und die Kernapplikationen wie ERP und Branchenlösungen ergänzen und erweitern. Als Beispiel sind zum Beispiel Reporting- und Dashboard-Apps für das Management, eine Zeiterfassungs-App für Service-Monteure oder eine Katalog- oder Beratungs-App für Aussendienstmitarbeiter zu nennen. Und dabei handelt es sich nur um die sichtbare sprichwörtliche Spitze des Eis- beziehungsweise App-Berges. Daneben entsteht eine ganze Vielzahl von Geschäftsapplikationen in Form von Apps, die gar nie in einem der öffentlichen App Stores publiziert, sondern direkt via Unternehmensinfrastruktur verbreitet wird. Man nennt diese Art von App-Installation «sideloading».
Quo vadis, Appconomy?
Fassen wir zusammen und wagen wir einen Ausblick. Die Appconomy kann in den fünf Jahren ihrer jungen Existenz bereits auf eine bewegte Erfolgsgeschichte zurückblicken. Innerhalb kürzester Zeit ist ein globaler Software-Markt mit beindruckenden Wachstumsraten entstanden, angetrieben von nahtlos ins Betriebssystem integrierten App Stores, die jedem noch so kleinen App-Publisher einen potentiell globalen Marktzugang ermöglichen. Gleichzeitig muss sich jeder App-Publisher auch einer globalen Konkurrenz stellen, die zur Folge hat, dass einige wenige Apps enorme Erfolge erfahren, während die Mehrheit aller kommerziellen Projekte nicht mal ihre Entwicklungskosten einspielt.
Auch wenn es da und dort schon zu Übertreibungen gekommen ist und teileweise App-Projekte realisiert werden – etwa in der Umsetzung von Medientiteln als Apps –, die nicht auf einem erfolgsversprechenden Geschäftsmodell beruhen, sind (noch) keine Anzeichen für eine allfällige App-Blase feststellbar. Denn im Unterschied zu den bekannten Fantasie-Bewertungen von Web-Plattformen und Internet-Dienstleistern beruht der Umsatz von App-Publishern nicht auf Hoffnungen und Erwartungen, sondern konkreten Kauftransaktionen. Rovio Entertainment wächst im nahezu dreistelligen Prozentbereich und schreibt Gewinne mit hoher Marge – ganz im Gegensatz zu den ehemaligen Internet-Börsenlieblingen wie Fantastic Corporation & Co.
Dazu kommt das Wachstumspotential von Apps im Unternehmensbereich, das heute viele Unternehmen und Dienstleister gar noch nicht richtig erkannt haben. Mit Geschäftslösungen werden aber auch die technischen Anforderungen von Apps wachsen – bei der Business-Logik, im Back-end wie auch der Systemintegration. App-Entwicklung kann nicht länger als Weiterführung von Websites mit anderen Mitteln gesehen werden, sondern verlangt je länger je mehr nach kompetenten Dienstleistern, die Experten in moderner Software-Entwicklung sind. Mit allem was dazugehört: Vom umfassenden Application Lifecycle Management, über Continuous Integration bis hin zu automatisierten UI-Tests.
Christof Zogg ist Director Developer & Platform Group bei Microsoft Schweiz.