CIO-Interview: «Wir setzen heute vermehrt auf Consumer-Geräte»
Quelle: SBB

CIO-Interview: «Wir setzen heute vermehrt auf Consumer-Geräte»

Peter Kummer und sein 850 Mitarbeitende umfassendes IT-Team haben es bei der SBB aktuell mit rund 20’000 Clients und einer IT-Landschaft mit über 1000 Applikationen zu tun.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2012/07

     

Swiss IT Magazine: Herr Kummer, was wäre die SBB heute ohne Informatik? Würde noch etwas funktionieren?
Peter Kummer:
Nein, oder zumindest nicht lange. Die IT geht heute quer durch das ganze Unternehmen. Das beginnt bei der Steuerung des Bahnbetriebs und geht weiter mit der Unterstützung aller Geschäftseinheiten wie Finanzen, Logistik, Verkauf oder Kommunikation. Zudem ist bei der SBB heute auch der ganze Ticket-Vertrieb stark IT-abhängig: 63 Prozent aller Billette werden aktuell am Automaten gekauft, 9 Prozent online im Web oder mit dem Smartphone, der Rest am Schalter.

Was sind die grössten Herausforderungen, mit denen die SBB IT aktuell konfrontiert ist?
Unsere grösste Herausforderung ist, dass wir einerseits die Heterogenität und Komplexität unserer IT-Landschaft abbauen und besser in den Griff kriegen wollen, um dadurch Kosten und Risiken zu senken. Auf der anderen Seite nimmt der Bedarf an Innovationen aus dem Business kontinuierlich zu. Das ist ein Gap, den es zu managen gilt.


Wo liegt der Grund für den gestiegenen Bedarf an Innovationen?
Dieser ist zum einen gesellschaftsbedingt: Zahlreiche Kunden erheben durch den Boom der Smartphones beispielsweise Anspruch auf eine App und möchten ihr Billett über verschiedene Wege kaufen können. Zum anderen sieht sich die SBB mit einer stetig steigenden Nachfrage konfrontiert, die auf einem beschränkten Netz bewältigt werden muss. Man kann dazu in die Infrastruktur investieren und neue Tunnels oder Schienen bauen – das kostet aber viel Geld und Zeit. Ich bin der Meinung, dass man mit dem Einsatz intelligenter, fortschrittlicher Technologien einen Teil dieses Kapazitätsproblems günstiger und schneller lösen kann – Technik statt Beton.

Wo werden solche Technologien entwickelt? Intern, in einer eigenen Entwicklungsabteilung, oder extern?
Wir haben einen eigenen Bereich Software Engineering, der derzeit rund 300 Entwickler beschäftigt. Grundsätzlich gilt bei der SBB das Prinzip «Buy before customize before make»:Falls wir einkaufen können, dann kaufen wir ein und integrieren die Lösung danach in unsere IT-Landschaft. Wenn ich auf unsere Applikationslandschaft schaue, dann ist ein grosser Teil aber auch eigenentwickelt. Dabei handelt es sich vor allem um bahnspezifische Applikationen, die beispielsweise den Zugverkehr steuern oder das ganze Netz überwachen. Für diese gibt es keine passenden Marktangebote. Wir haben gleichzeitig aber auch eine der grössten SAP-Installationen der Schweiz.


Gibt es keinen Markt für bahnspezifische IT-Lösungen?
Sagen wir es so: Der Markt für bahnspezifische Lösungen ist sehr klein. Wir haben derzeit mit unserem «Rail Control System» eine selbst entwickelte, innovative Anwendung, die wir via unseren Entwicklungspartner CSC auch im Markt anbieten.

Arbeiten Sie in gewissen Bereichen auch mit IT-Dienstleistern zusammen? Was haben Sie ausgelagert?
Ja, das tun wir. Unsere Desktops und deren ganzer Betrieb stellt Swisscom IT Services sicher. Alles, was Mainframes, Middelware und Application Services betrifft, betreut T-Systems für uns. Und um den Bereich Connectivity, also unser Datennetz, kümmert sich die interne SBB Telecom.


Wie gross ist Ihre IT-Landschaft heute und wie viele User betreuen Sie?
Wir betreuen aktuell rund 31’000 User und 20’000 Rechner. Dazu zählen Laptops, Fat Clients und Citrix-basierte Thin Clients. Software-seitig werden bei der SBB zurzeit insgesamt zirka 1000 Applikationen eingesetzt. Die Bandbreite reicht dabei von Standardlösungen wie SAP bis hin zu den bereits angesprochenen, hochspezialisierten Individualentwicklungen im Bahngeschäft. In diesem Zusammenhang ist sicher auch das Projekt Aqua erwähnenswert, im Rahmen dessen wir bis Ende des letzten Jahres alle unsere Rechner flächendeckend mit Windows 7 und Office 2010 erneuert haben.

Und hinter den Kulissen? Wie viele Server stehen in Ihren Rechenzentren?
Wie bereits erwähnt, ist der ganze Betrieb der IT-Infrastruktur an die beiden Partner Swisscom IT Services (SITS) und T-Systems ausgelagert. Im Desktop-Bereich betreut SITS für uns aktuell zirka 250 virtualisierte Server mit Citrix als Virtualisierungstechnologie. Im Backend-Bereich stehen bei T-Systems zurzeit rund 1000 Server, davon sind etwa 20 Prozent virtualisiert, auf Basis von Vmware. Beide Provider verfügen je über ein Haupt- sowie ein Fall-Back-Rechenzentrum.

Was ist mit mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets?
Derzeit sind im Unternehmen etwa 11’000 Smartphones auf Basis von iOS und Windows Mobile sowie 800 Tablets im Einsatz. In ein bis zwei Jahren werden es gemäss aktuellen Schätzungen bereits 16’000 Smartphones sein. Dabei unterstützen wir das Bring-your-own-Device-Konzept sehr stark, übrigens auch im Workplace-Bereich, wo dank unserer Citrix-Lösung beispielsweise eigene Macbooks genutzt werden können.
Weiter setzen wir stark auf iPads, die in unser DMS integriert und mit Outlook Exchange verknüpft werden können. Unsere zweiwöchentlichen Konzernleitungssitzungen finden dank den Tablets heute komplett ohne Papier statt. Alle nötigen Infos und Dokumente sind auf den iPads vorbereitet. Ich selber kann heute so auf 90 Prozent meines früheren Papierbedarfs verzichten.
Dieser Tablet-Service existiert nun seit zirka vier Monaten. Jeder Mitarbeitende kann sich ein iOS-Gerät kaufen, es – sofern sein Vorgesetzter dem zustimmt – ans Unternehmensnetzwerk anschliessen und danach für seine tägliche Arbeit einsetzen.

Wieso fiel die Wahl auf das iPad?
Weil wir das iOS-Betriebssystem im Moment besser managen können. Android ist noch zu vielfältig, es gibt noch zu viele unterschiedliche Versionen. Ich denke aber, dass wir in Zukunft auch Android und weitere Systeme unterstützen werden.

Welche Strategie verfolgen Sie im Smartphone-Bereich?
Wir verfolgen hier dasselbe Konzept wie mit den Tablets und setzen ebenfalls auf Geräte mit iOS. Fürs Top-Management haben wir zudem noch Blackberrys im Einsatz. Dieser Dienst wird per August jedoch eingestellt, da wir ihn zu 100 Prozent mit iPhones substituieren können. Ich glaube, dass wir damit vielen anderen Firmen einen Schritt voraus sind. Aber meiner Ansicht nach macht es einfach keinen Sinn, zwei Plattformen zu betreuen, zumal wir mit iOS-Geräten bisher sehr gute Erfahrungen gemacht haben.

Haben Sie noch weitere Geräte zu betreuen?
Ja, wir haben eine ganze Menge Industriegeräte im Einsatz, für unsere Zugbegleiter und Gleisarbeiter beispielsweise. Aktuell sind es rund 6500 Stück. Allerdings läuft es auch hier mehr und mehr in die Richtung, dass wir uns weg von Industrie- hin zu Consumer-Geräten bewegen.

Werden wir bei der SBB also bald Zugbegleiter mit Tablets sehen?
Ja, das ist durchaus möglich. Aber auch andere Berufsgruppen und Bereiche sind diesbezüglich sehr interessant.


Gibt es andere spannende Projekte, die aktuell laufen?
Da wir jährlich weit über 100 grosse IT-Projekte umsetzen, verzichte ich darauf, jedes einzelne aufzuzählen. Lieber streiche ich zwei sehr interessante hervor.
Da wäre zum einen das Projekt ADL, eine Abkürzung für Adaptive Lenkung, umgangssprachlich auch bekannt als «Grüne Welle für den Lokomotivführer». Damit gehen wir die eingangs erwähnte IT-unterstütze Optimierung des Schienenverkehrs an. Unsere Lokführer erhalten mit ADL ab nächstem Jahr in Echtzeit Empfehlungen bezüglich der optimalen Fahrgeschwindigkeit. Damit können ein häufiges Bremsen und Beschleunigen des Zuges vermieden und so jährlich Energiekosten in der Höhe von 12 Millionen Franken eingespart werden.
Erwähnenswert ist ausserdem das Projekt FITS, im Rahmen dessen wir die IT-Betriebskosten bei SBB Cargo halbieren wollen. Geschehen soll dies durch die Standardisierung der Systeme in Bahn- und Speditionslogistik.

In welchem Rahmen liegt eigentlich das Budget der SBB IT?
Mir steht in diesem Jahr insgesamt ein Budget von 560 Millionen Franken zur Verfügung. Darin sind sowohl Projekte als auch der gesamte IT-Betrieb enthalten.
Und im kommenden Jahr?
Im Moment plane ich mit einem gleichbleibenden Budget. Alles, was im kommenden Jahr als Innovation neu dazu kommt, will ich mit Effizienzsteigerung beim Betrieb zurückgewinnen.


Blicken wir noch in die Zukunft: Steht in den kommenden Monaten ein Grossprojekt an?
Ja, sogar einige. Eines der ganz grossen Projekte ist ZPS, eine Abkürzung für Zukünftiges Preissystem. Hier geht es um die Ablösung aller aktuellen Preis- und Vertriebssysteme im Bereich des Personenverkehrs. Diese sind in der Vergangenheit heterogen gewachsen, ihre Konzepte sind teilweise bis zu 20, 30 Jahre alt. Das Ziel lautet «eine Reise, ein Ticket», egal welche Strecke, welcher Verbund, welche Bahn. Einführen wollen wir dieses neue Preissystem bis 2017.

Was ist mit Cloud Computing? Ist die Wolke bei der SBB ein Thema?
Ja, durchaus. Ich verspreche mir durch die Cloud sehr viel, primär aus dem Standardisierungsaspekt der Services, der einem mehr Freiheit beim Sourcing gibt. Natürlich ist dies jedoch ein Thema, das wir nicht alleine, sondern zusammen mit unseren Outsourcing-Partnern behandeln, die uns schlussendlich als Provider die Cloud-Lösungen bereitstellen. Wir sind vor allem für hybride Cloud-Angebote oder Private-Cloud-Lösungen offen. Im Bereich ERP sind wir gerade dabei, einen Teil in eine Private Cloud zu stellen. Public-Cloud-Modelle kommen aus Sicherheits- und Qualitätsgründen aktuell nicht in Frage.


Und was ist mit Green IT?
Da der Rechenzentrumsbetrieb weitgehend outgesourced ist, werden Green-IT-Aspekte meist durch die Provider umgesetzt. Im End-user-Bereich legen wir bei der Endgeräteauswahl grossen Wert auf Green IT. Im Rahmen des angesprochenen Projekts Aqua konnten wird dank dem Austausch veralteter Desktop-PCs und Notebooks durch moderne sparsamere Geräte und Thin Clients den Stromverbrauch für 20’000 IT-Arbeitsplätze beispielsweise um 25 Prozent senken. Das ist aber natürlich kein Vergleich mit dem, was wir dank der IT im erwähnten Projekt ADL einsparen können. Eine Lok braucht immer noch etwas mehr Strom als ein PC. (mv)


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