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Mensch und Maschine im Einklang
Quelle: Pixabay

Mensch und Maschine im Einklang

Von Dalith Steiger

Die Begeisterung für Künstliche Intelligenz wächst stetig. Welche Implikationen dies für die Zukunft der menschlichen Arbeitskräfte haben wird und wo KI genau anfängt, sind Fragen, die es noch zu klären gilt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2017/12

     

Die Manager-Community C-Level hat bei ihren Mitgliedern eine Umfrage zu Artificial Intelligence (AI) durchgeführt. 70 Prozent der Befragten gaben an, sie könnten AI definieren und erklären. Das ist eine doch sehr sportliche und selbstbewusste Einschätzung – das Feld ist weit und kompliziert.

Wenn man AI auf UI (User Interface: die Oberfläche, auf der die Interaktion Mensch-Maschine stattfindet) und UX (User Experience: Umgang und Verhalten der Nutzer mit Plattformen) respektive auf deren Optimierung beschränkt, wird man AI nicht gerecht. Und die Aussage, dass "fuzzy" Algorithmen, also Algorithmen mit einer gewissen Unschärfe, halt etwas "schlauer" seien als "lineare" Algorithmen, trifft den Kern auch nicht wirklich. Die Fuzzy Logic ist viel mehr als ein gewisser Mut zur Ungenauigkeit.

AI – Versuch einer ­Eingrenzung

Es ist sehr schwierig, eine allgemeingültige Definition von künstlicher Intelligenz zu finden. Man sollte AI daher im breitest möglichen Sinn verstehen. Als etwas, was den Menschen hilft, ihr volles Potenzial zu erlangen. Diese Hilfe kann in Form von Computersystemen, Algorithmen, Robotern oder sonstigen Technologien daherkommen. Gemeinsam ist allen, dass Menschen erst durch die Unterstützung gewisse Aufgaben lösen können, während sie andere Probleme schneller und genauer erfassen und beheben können. Es gibt eine Reihe von Definitionen und Unterscheidungen für künstliche Intelligenz, welche zum Teil massiv voneinander abweichen. So wird zum Beispiel in der Forschung und in der Industrie zwischen unterschiedlichen Formen von AI unterschieden. Der heutige Forschungsstand unterscheidet zwischen schwacher und starker AI.

Schwache AI bezeichnet dabei alle Computersysteme oder physischen Objekte (Roboter), die dafür programmiert sind, in spezifisch abgegrenzten Bereichen (z.B. Gesichtserkennung, Internetrecherche oder Schachspiel) eine bestimmte Handlung vorzunehmen. Starke AI auf der anderen Seite bezeichnet Systeme, die über allgemeine menschliche kognitive Fähigkeiten verfügen und dadurch sogar in der Lage sind, unbekannte Aufgaben zu lösen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch nicht ganz klar, ob starke AI überhaupt programmierbar ist respektive sein wird.


Grundsätzlich ermöglicht es Artificial Intelligence den von ihr gesteuerten Systemen, immer besser zu "fühlen", zu "verstehen", zu "lernen" und zu "handeln". Diese Verfeinerungen und Optimierungen eröffnen letztlich der gesamten Wirtschaft ganz neue Möglichkeiten – und verändern das gesamte Business-Umfeld.

AI – Global

Die führenden Regionen in Sachen AI sind Asien (das in der Robotik sehr stark ist) und die USA. In den USA konzentriert sich die AI-Szene auf zwei Zentren, einerseits das Massachusetts Institute of Technolgy (MIT) an der Ostküste und andererseits das Silicon Valley in Kalifornien. Die Amerikaner fokussieren dabei eher auf AI-Software (z.B. neurale Netzwerke) – und sie sind unschlagbar, wenn es darum geht, Forschung in Business zu transferieren, oder profaner gesagt: aus Forschungserkenntnissen Profit zu schlagen. Bei der Forschung zu AI und dem Transfer der gewonnenen Erkenntnisse in die Unternehmen müssen die Europäer dringend aufholen.

AI – Schweiz

In der Schweiz fahren die Züge auf die Sekunde pünktlich und Herr Nötzli nimmt es mit den Zahlen sehr genau. Exaktheit und Millimeterarbeit sind nicht gerade die Grundpfeiler der Fuzzy Logic – obwohl sich Exaktheit damit durchaus erreichen lässt. Nichtsdestotrotz hat AI ihren Weg in die Schweiz gefunden und erobert langsam ihr Terrain. Es gibt tatsächlich eine starke Szene in der Forschung und es gibt zahlreiche Bestrebungen, AI noch besser zu verankern, einerseits in der Business-Welt, aber auch im Bewusstsein der Schweizerinnen und Schweizer. Ein kurzer Überblick:

Start-ups

Die AI-Start-up-Szene ist im internationalen Vergleich eher klein. Die Universitäten, die ETH und die EPFL generieren aber doch etliche Spin-offs, die weltweit Anerkennung finden. Auf der kürzlich erstmals veröffentlichten AI Start-up Map von Swisscom sind alle potenziellen Erfolgs-Start-ups zu finden.

Die Anzahl Schweizer Start-ups, die künstliche Intelligenz für die Auswertung von Daten und Signalen nutzen, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Schweizer Start-ups haben mit AI in ganz unterschiedlichen Gebieten innovative Lösungen entwickelt: Robotics, Adtech, Sales & CRM, Business Intelligence, Spracherkennung, Finanz- und Versicherungstechnologie, Legaltech und Regtech, Landwirtschaft, Gesundheitswesen und Life Science, Machine Intelligence, Bilderkennung, E-Commerce, Mobilität, Sicherheit, Virtuelle Assistenten und Chatbots. Mit dieser Breite von AI-Lösungen ist die Schweiz durchaus gut aufgestellt und liefert innovative Technologie auf Weltklasse-Niveau.

Universitäten und Institute

Die beiden eidgenössischen technischen Hochschulen (ETH Zürich und EPF Lausanne) setzen sich mit AI auseinander, auch im verwandten Bereich der Robotik. An den Universitäten Bern, Basel, Genf und Freiburg existieren vereinzelte Institute, die sich mit AI auseinandersetzen. An der Università della Svizzera Italiana USI gibt es zudem ein riesengrosses AI-Lab, das eng mit den ETHs zusammenarbeitet.

Der bekannteste AI-Forscher in der Schweiz ist unzweifelhaft Rolf Pfeifer. Ihn kennt man auch ausserhalb Europas und insbesondere in Asien sehr gut. Er hat einen beeindruckenden Track Record hingelegt und sich mit allen renommierten AI-Labors verbunden, beispielsweise dem MIT, Brüssel, CMU, Tokio und weiteren. Andere Koryphäen mit vergleichbarem Standing sind Jürg Kohlas (Uni Freiburg) und Horst Bunke (Uni Bern). An der USI arbeitet Jürgen Schmidhuber, welcher letztes Jahr einen Award für seine Deep-Learning-Methoden gewann. An der Uni Basel arbeitet der junge Forscher Malte Helmert, an der Uni ­Zürich Davide Scaramuzza und an der Uni Freiburg Edy Portmann, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit AI auseinandersetzen.

Internationale Grosskonzerne

Die internationalen Konzerne in der Schweiz gehen das Thema AI konzentriert und systematisch an. Es sind deutliche Branchenunterschiede festzustellen. Während in praktisch allen kundenorientierten Industriesegmenten sehr stark in RPA (Robotic Process Automation) investiert wird, sind weitergehende Konzepte in der Regel noch im Proof-of-Concept-Stadium. RPA verwendet wichtige Elemente von künstlicher Intelligenz und ist vor allem der Effizienzsteigerung beziehungsweise Kostensenkung gewidmet.


Auch internationale Firmen arbeiten aus der Schweiz am Zukunftsthema ML/AI. So ist Zürich für Google nicht nur der grösste Forschungs- und Entwicklungsstandort ausserhalb der USA, sondern seit 2016 auch Heimat für Google Research Europe – einem Team, das unter anderem Forschung im Bereich des maschinellen Lernens mit den Schwerpunkten auf Erkennen und Verstehen von natürlicher Sprache und Machine Perception betreibt. Übrigens kann auch IBM Rüschlikon auf eine lange Forschungstradition zurückblicken, und es kommen neue Player hinzu, so etwa IBM Watson.

Branchen

Durch eine konzentrierte Anwendung von AI bei Versicherungskonzernen in der Betrugserkennung können mittels automatisierter Segmentierung von Kunden und die Analyse ihrer Verhaltensmuster mögliche Fälle von Versicherungsbetrug identifiziert werden; repetitive Aufgaben wie Adressänderungen, Standard-Compliance-Anfragen, Behebung von Standard-­IT-Problemen können benutzerspezifisch durch AI durchgeführt werden; in der Dokumentenanalyse wird AI eingesetzt, um das Analysieren und Zusammenfassen von Dokumenten wie beispielsweise Investoren-Berichten zu übernehmen. Der Mitarbeiter kann dann die nächsten Handlungsschritte von den Ergebnissen ableiten. Bei Banken wird AI vor allem im Marketing zur Optimierung des Marketing Mix, um den Return on Investment der verschiedenen Marketingmassnahmen zu optimieren und im Beschwerdemanagement wird AI für die Analysen von Kundenbeschwerden aus E-Mails und Beschwerdeformularen eingesetzt. Es werden eine Klassifizierung und die Zuweisung der nächsten Handlungen durchgeführt. In der Pharmaindustrie erfolgt der Einsatz von AI vornehmlich zur Beschleunigung der klinischen Tests beziehungsweise der Feststellung der Testreife von neuen Molekülen mit dem Ziel, die Kosten zur Markteinführung neuer Moleküle zu senken. Daneben gibt es unzählige kleinere Anwendungen wie zum Beispiel zur Optimierung des Spesenprozesses, indem Muster erkannt und einer rascheren Regulierung zugeführt werden können.

AI-Koordination und -Förderung

Das Collegium Helveticum hat sich mit seinem Team – Thomas Hengartner, Christian Ritter, Abraham Bernstein, Mike Martin, Sarah Lechmann und Mathis Brauchbar – mit den zahlreichen Initiativen, welche sich in der Schweiz mit der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft befassen, auseinandergesetzt.

Das Feld der (institutionellen) Akteure reicht dabei von den Wissenschaften über die Wirtschaft, Politik oder Verwaltung bis zum Kunst- und Kulturbetrieb. Entsprechend wird das Querschnittsthema Digital Societies aus unterschiedlichen Perspektiven und entlang verschiedener Zielsetzungen behandelt. Das gemeinsam vom Collegium Helveticum und der Digital Society Initiative (DSI) der Universität Zürich durchgeführte Projekt erarbeitet erstmals eine systematische Übersicht über in der Schweiz tätige Anspruchsgruppen, die sich aktiv mit Fragen digitaler Gesellschaften auseinandersetzen. Die Grundlagen dafür wurden in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen Evaluescience erhoben. Ziel des Projekts ist eine öffentliche, interaktive Applikation, die Auskunft gibt über die am Thema Digital Societies arbeitenden Initiativen und Institutionen, deren Tätigkeitsfelder, Schwerpunkte und Netzwerke. Damit richtet sich das Projekt dezidiert an Stakeholder, die sich gegenwärtig und in der Zukunft mit Fragen der Digitalisierung beschäftigen.

Künstliche Intelligenz und Ethik

Natürlich bieten neue Technologien nicht nur Chancen, sie bergen auch Gefahren. Das ist bei der künstlichen Intelligenz nicht anders. Hinsichtlich der AI stellen sich aber angesichts ihrer Fähigkeit zur Autonomie ganz besondere Fragen, die sorgfältig beantwortet werden müssen. Die Technologieentwicklung, die AI andenkt und antreibt, führt unweigerlich zu einem Paradigmenwechsel, da der Mensch nicht mehr das einzige intelligente System mit Handlungskapazitäten auf der Erde darstellen würde. Eine Diskussion der möglichen Folgen ist deshalb essentiell. Eine derartige Diskussion kann und muss unter anderem ethische Fragestellungen angehen und so schlüssig und vernünftig wie möglich beantworten.


Wenn in Zukunft Menschen Systeme verwenden oder mit ihnen interagieren, die erweiterte, kognitive Fähigkeiten besitzen oder gar autonom (ohne menschliche Einwirkung oder Überwachung) handeln können, so gilt es zu diskutieren, ob und wie die Handlungen von intelligenten Computersystemen und das Zusammenspiel von Mensch und Maschine durch moralische Prinzipien geleitet werden sollen.
Die Entwicklung von Systemen mit AI kann in zweierlei Hinsicht sehr riskant sein: AI kann so programmiert werden, dass ein System zerstörerische Funktionen übernehmen kann (zum Beispiel autonome Waffensysteme). Aber auch intelligente Systeme, welche für den Nutzen und das Wohlbefinden der Menschheit programmiert werden, bergen das Risiko, destruktive Methoden für das Erreichen ihres Zieles zu entwickeln. Deswegen ist es zwingend, auch die Programmierung von AI durch den Menschen aus einer ethischen Perspektive zu beurteilen. Bei der Fuzzy Logic soll und darf gerade die Ethik nicht unscharf sein. Wenn diese Fragen überzeugend gelöst werden können, eröffnen sich der Wirtschaft neue Märkte und spannende Möglichkeiten, die letztlich der ganzen Weltgemeinschaft zugutekommen können.

Die Autorin

Dalith Steiger, 1971 in Israel geboren und in der Schweiz aufgewachsen, schloss ihre Studien in Mathematik und Wirtschaftsinformatik an der Universität Zürich ab. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der Schweizer Bankenindustrie. Dalith ist Co-Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin von Whywait und Swisscognitive "The Global AI Hub", gegründet 2016. Der Artikel entstand Dank diversen Beiträgen aus der Swisscognitive-Community und mit Unterstützung des ganzen Swisscognitive-Teams.

Globaler AI-Hub

Mit der Inititative von Swisscognitive im Jahr 2016 verfügt die Schweiz über einen AI Hub, der als Plattform für den Austausch, die Diskussion und Vernetzung von allen an AI Interessierten sowie als Anlaufstelle für und Förderanstalt von AI dient. Der Hub bietet ein neutrales und offenes Umfeld und bringt Technologieexperten, Berater, IT-Nutzer, Unternehmen, Organisationen, Politiker, Regierungen und Branchen aus allen Industriesektoren zusammen. Swisscognitive hilft, in Unternehmen kognitive Intelligenz zu etablieren mit dem Ziel, die Unternehmen unabhängiger und wettbewerbsfähiger zu machen. Schweizer Firmen sollen Pioniere im Bereich kognitiver Technologien werden. Dank dieser Initiative verfügt die Schweiz nun über ein koordiniertes Netzwerk in Sachen AI und hat damit einen grossen Schritt vorwärts gemacht auf dem Weg, den es zu beschreiten gilt, wenn man in der AI-Welt ganz vorne mitmischen will. Für ihr Engagement und ihre Arbeit wurde Swisscognitive kürzlich anlässlich des Swiss ICT Awards 2017 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Im Weiteren wurde sie vom Collegium Helveticum und der Digital Society Initiative (DSI) der Universität Zürich zu einer der 27 prägendsten Initiativen der Schweiz im Bereich der Digitalisierung gewertet. Offensichtlich ist die Bereitschaft vorhanden, in den global bereits fahrenden Zug einzusteigen und die entsprechenden Anstrengungen werden honoriert. Mit "Why Wait? Act Now and Share for Success!" motiviert und fordert Swisscognitive die Community auf, gemeinsam den Werkplatz Schweiz zu stärken.


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