Ein Unfallpatient mit einem zertrümmerten Jochbein, ein Krebspatient mit einem fehlenden Kieferstück: Solche Bilder sind für Chirurgen Alltag. Mit Implantaten können sie Knochen zwar ersetzen. Doch Implantate sind erstens nicht schnell zu bekommen, und zweitens sind Standardformen vorherrschend, die selten gleich passen. Entsprechend müssen Ärzte die Implantate während der OP unter Zeitdruck von Hand so biegen, dass sie ins Gesicht des Patienten passen. Und bis sie diese überhaupt erhalten, vergehen Wochen. Denn der Arzt skizziert erst, was er braucht, ein Ingenieur erstellt anhand dessen ein Modell, das der Arzt wiederum optimiert haben möchte und so weiter.
Das Mimedis-Konzept: Ärzte designen an 3D-Knochenbildern ihrer Patienten selbst passgenaue Knochenimplantate, die der 3D-Drucker innert Tagen produziert. (Quelle: Mimedis)
Tage statt Wochen
Um diesen Umstand wissen die vier Gründer vom Basler Start-up Mimedis. Seit mitunter 15 Jahren sind sie in Forschungsprojekte rund um Implantationen und 3D-Drucker involviert. Im Gespräch mit «Swiss IT Magazine» meint der Jüngste unter ihnen, der 32-jährige Florian Coigny: «Für uns war offensichtlich, dass eine neue Lösung gebraucht wird.» Der Software-Profi und FHNW-Dozent und seine drei Kollegen – ein Chefarzt der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie des Unispitals Basel, ein Maschinenbauer mit 3D-Druck-Know-how und ein FHNW-Institutsleiter mit Erfahrung mit Implantat-Planungssystemen – taten sich zusammen. Ihr Ansatz: Implantate via 3D-Drucker passgenau herstellen, die ein Arzt sich zuvor via Software für spezifische medizinische Fälle selbst bestellt. «Die Software soll alles, was sonst der Ingenieur macht, automatisieren», erklärt Florian Coigny, «so dass der Mediziner nur noch mit Mausklicks definieren muss, wie gross ein Implantat wird und wo am Knochen es befestigt werden soll.» Was bisher mehrere Wochen dauert, soll einem Arzt künftig in fünf Tagen vorliegen.
Ablaufen wird das folgendermassen: Ein Arzt importiert Patientendaten in die Software, so dass er mit dem tatsächlichen 3D-Abbild eines Patientenschädels arbeiten kann, mit all seinen individuellen Formen und Defekten. Somit wird es möglich, ein spezifisches Implantat für den Schädel zu planen und zu designen, und auch die Kosten dafür berechnet die Software automatisch. Die Online-Bestellung des Arztes trifft dann bei Mimedis ein, wo 3D-Drucker die Implantate herstellen. Je nach Grösse dauert das zehn bis zwanzig Stunden. Dann wird nachbearbeitet, poliert, geprüft, gereinigt, und das Implantat ins Spital geschickt. Im Juni 2015 hat Mimedis diesen Prozess qualifiziert und wenige Wochen später erste Implantate an Schweizer Spitäler ausgeliefert. Aktuell können Ärzte die Software zwar noch nicht selbst nutzen, sie wird bisher von Mimedis direkt bedient. Und dennoch verschafft allein das neue Verfahren den Ärzten bereits einen Effizienzgewinn und eben das genaue Passen der Implantate, «das sie während der OP nur noch einsetzen müssen», so Coigny.
Der erste Wurf muss passen
Der Gründer weiss aber auch: Die Software, von der ein erster Prototyp in rund einem Jahr an Ärzte gehen wird, muss gleich beim ersten Versuch durch Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit überzeugen. «Sonst probieren die Ärzte das einmal aus und lassen dann die Finger davon», so der Basler. «Wir bringen ja ein völlig neuartiges Produkt auf den Markt.» Was Ärzte wollen, weiss das Start-up durch den seit eh und je engen Austausch mit Ärzten bei früheren Forschungsprojekten. Florian Coigny ist derjenige, der weiss, was software-mässig machbar ist und welche neuen Technologien einsetzbar sind. Das Vierer-Team diskutiert, bis es eine Lösung findet. Bisher einmal pro Woche bei einem physischen Meeting, oder auch via Videokonferenz. Aktuell arbeiten sie in Projekten mit Mitarbeitern der FHNW über drei Standorte verteilt. Ziel ist aber, so bald als möglich die eigenen Ressourcen zu stärken und an einem Ort zusammenzuziehen.
Was es dafür braucht, sind Investoren. Nach dem Markteintritt steht nun der Ausbau der Planungssoftware an. Mit mehr Geld im Rücken kämen sie schneller voran. Und das wollen sie – denn die Konkurrenz schläft nicht. Das finanzielle Polster zum Start boten Preise – Venture Kick, de Vigier und der Jungunternehmerpreis Nordwestschweiz – sowie die Innovationsförderung durch den Bund. Es gehe den Vieren keinesfalls darum, das schnelle Geld mit ihrer Geschäftsidee zu machen. Sie denken langfristig, wollen nach Europa und weltweit expandieren und ihre Lösung selbst weiterentwickeln statt sie abzustossen. «Das ist unsere Leidenschaft und da steckt noch viel Potential drin», so Coigny. Seine Vision für die ferne Zukunft ist, dass bei einem Notfall im Krankenhaus der 3D-Drucker im Raum neben dem OP-Saal bereits die zerstörten Knochen druckt. Mimedis selbst würde dann als Software- oder Cloud-Service-Anbieter im Hintergrund das Design und die Fertigung organisieren. Um solche Visionen zu realisieren, arbeitet Florian Coigny bis tief in die Nacht und an Wochenenden. «Diese Fähigkeit, eine 3D-Struktur zu erzeugen, die sich submillimetergenau mit dem Knochen verbindet», so der Basler, «und das langjährige Know-how in einer Software zu automatisieren und somit Prozesse beschleunigen und vereinfachen zu können, das ist es, was mich fesselt.»
Über Mimedis
Ralf Schumacher, Hans-Florian Zeilhofer, Erik Schkommodau und Florian Coigny haben Mimedis 2013 gegründet. Seit Sommer 2015 liefert das Spin-off der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und des Universitätsspitals Basel (USB) die ersten Knochenimplantate aus dem 3D-Drucker an Spitäler aus, die Ärzte etwa Unfall- und Krebspatienten einoperieren. Etwa Ende 2016 sollen Ärzte diese Implantate über eine Software selbst designen und bestellen können.
(aks)